Wenn es um Nabenmotoren geht, kommt man neuerdings an einem Namen nicht vorbei: MIVICE entwickelt und baut seit 2017 kompakte und preislich attraktive Motoren sowie Drehmomentsensoren im chinesischen Ningbo. Seit 2022 werden die Geschicke der Marke und deren Aufbau vom europäischen Hauptquartier in Bamberg aus geleitet. Um mehr über die Produkte und Visionen der Marke zu erfahren und die Personen, die dahinterstecken, kennenzulernen sind wir ins Fränkische gefahren, haben uns durch die heiligen Hallen des „European Headquarters“ führen lassen und mit CEO Horst Schuster gesprochen.
Fokus Light-E-Bikes
Auch wenn man es im ersten Moment vermuten mag, ist MIVICE beileibe kein Neuling mehr in der Bikebranche, wie die Unternehmensgeschichte zeigt. Die Gründung des Unternehmens erfolgte bereits im Jahr 2017, und seitdem hat es sich zu einem Experten für elektrische Antriebe entwickelt. Gegründet wurde die Firma von Tony Lou, der vorher sechs Jahre lang CEO und Anteilseigner eines Joint Ventures mit einem namhaften deutschen Hersteller von E-Bike-Systemen war und zum Zeitpunkt der Gründung von MIVICE bereits auf einen reichen Erfahrungsschatz im Bereich der Entwicklung und Produktion von E-Scooter-Motoren zurückblickte. Anfangs agierte MIVICE ausschließlich als Zulieferer für bekannte E-Bike-Hersteller. Nun tritt das Unternehmen jedoch auch eigenständig unter dem Namen MIVICE auf und beschäftigt weltweit rund 180 Mitarbeiter:innen.
Bislang umfasste das Produktsortiment von MIVICE einen Mittelmotor namens X700 sowie drei verschiedene Nabenmotoren: M060, M070 und M080. Seit der Eurobike 2023 sind mit dem M100 und M200 zwei weitere performante Nabenmotoren hinzugekommen. Der Produktfokus von MIVICE ist also stark zu erkennen: Das Unternehmen hat sich der Entwicklung und Produktion leichter und kompakter Nabenmotoren verschrieben, um vor allem in den Segmenten Urban, Road und Gravel Fuß zu fassen. Dass sie damit ganz richtig liegen, zeigt auch das stetig wachsende Angebot an E-Bikes, die leicht und elegant sind und bei denen sich der Motor in der Nabe und der Akku im Rahmen förmlich versteckt.
MIVICE: Nur mit Drehmomentsensor
Mindestens so bekannt wie für ihre leichten Nabenmotoren sind MIVICE für ihren eigens entwickelten Drehmomentsensor. Der Drehmomentsensor ist ein wesentliches Merkmal und ein essenzieller Bestandteil des MIVICE-Systems. Der Sensor wird im Tretlager des Fahrrads installiert und liefert präzise Messwerte über die Trittkraft der Fahrer:innen. Basierend auf diesen Informationen regelt der Motor die Unterstützung, was zu einem besonders natürlichen Fahrgefühl führt. Kurz gesagt, der Motor bietet seine volle Leistung nur dann, wenn sie auch wirklich benötigt wird. Die meisten E-Bikes mit Nabenmotoren anderer Hersteller verzichten tatsächlich noch auf diese Sensorik und haben stattdessen nur einen Trittfrequenzsensor verbaut. Für MIVICE gehört dieses Merkmal als Systemanbieter jedoch zum Standard.
Video: Hinter den Kulissen in der Produktion von MIVICE
Im Interview erklärt uns Horst Schuster, CEO der MIVICE Europe GmbH unter anderem, dass man bei MIVICE mit Materialien und Technologien aus der Automobil-Industrie arbeitet. Und auch die Produktion der Systembestandteile findet voll maschinell und auf Automotive-Niveau statt. Spannende Einblicke in die hochtechnologische Produktion der Motoren und Drehmomentsensoren in Ningbo bietet dieses Video:
MIVICE R&D Experience Team
Bei der Weiterentwicklung bestehender Produkte und der Entwicklung neuer Produkte setzt MIVICE auf die Zusammenarbeit mit seinem R&D Experience Team. Dabei ist das R&D-Center von MIVICE in Shenzen, dem Epizentrum der Elektronikindustrie in China beheimatet und wird dort vom CTO Saxon verantwortet. Um seine Daten vom Prüfstand mit echten Erfahrungswerten anreichern und abgleichen zu können, steht es in engem Kontakt mit dem markeneigenen R&D Experience Team, welches rund um den europäischen Firmensitz in Bamberg stationiert ist.
Zum Team gehören unter anderem die Mountainbikerin Annika Jeschke, die das Team mit ihrer Erfahrung aus Tausenden von Jahreskilometern auf den verschiedensten Bikes bereichert, sei es E-Mountainbike, E-Gravel- oder E-Roadbike, und die Personal Coachin Christine Berninger, die als Fitness- und Gesundheitstrainerin auf zwei Rädern in Frankfurt am Main wertvolles Feedback beisteuert.
In diesem Video siehst du das R&D Experience Team von MIVICE in Aktion:
Vom Motorenhersteller zum Systemanbieter
Mit Motor, Controller, Drehmomentsensor und Display bot MIVICE bislang bereits einen Großteil des Antriebsstrangs für E-Bikes an. Seit neustem wird mit drei verschiedenen Akkugrößen nun auch das letzte Puzzleteil zum vollständigen E-System von MIVICE direkt angeboten. Die Akkus werden exklusiv für MIVICE in der Türkei hergestellt, entsprechen den neuesten Standards und sind für die Verwendung in Europa und den USA zertifiziert.
Beim Thema kompletter Antriebssysteme für E-Bikes fallen einem sofort eine Handvoll Hersteller ein, wenn es um Mittelmotoren geht. Bei den Nabenmotoren ist die Situation jedoch anders, da hier oft noch jeder Fahrradhersteller sein eigenes Süppchen kocht. Die derzeit in diesem Bereich weitverbreiteten Motoren von Mahle etwa zählen zwar auch zu den Komplettsystemen, kommen allerdings ohne die fortschrittliche Steuerung mittels Drehmomentsensor.
Was die Produkte der Marke außerdem noch auszeichnet, welche Neuheiten MIVICE für diese Saison in petto hat und wo die Reise von noch hingehen soll, haben wir den CEO der MIVICE Europe GmbH im europäischen Hauptquartier der Marke in Bamberg selbst gefragt:
Interview mit Horst Schuster, CEO der MIVICE Europe GmbH
Hallo Horst, stell dich doch bitte als Erstes einmal vor – Wer bist du, wie sieht dein Background in der Bike-Industrie aus und was ist deine jetzige Funktion bei MIVICE?
Hi Laurenz, gerne. Also, mein Name ist Horst Schuster und ich habe das Glück, dass ich meine Passion zur Profession machen konnte. Ich bin seit 2001 in der Zweiradbranche unterwegs, habe zehn Jahre in meinem Leben motorisierte Zweiräder mit etwas mehr Power gemacht – und zwar Motorräder – bei der Firma Honda, war da im Vertrieb tätig und bin dann 2010 in die E-Bike-Branche gewechselt, weil ich A) schon immer gerne Rad gefahren bin und B) dachte, dass das der Markt sein wird, der sich enorm entwickeln wird. Nach Stationen, unter anderem bei Clean Mobile, heute TQ Systems, habe ich für den indischen Zweiradhersteller Hero Electric gearbeitet und mit der Marke A2B damals einen Relaunch gemacht. Dann war ich von 2016 bis 2021 bei der Firma Brose als Director Marketing und Vertrieb und bin jetzt seit Juli letzten Jahres, sprich jetzt etwas über ein Jahr, bei MIVICE, wo ich das Vergnügen habe, die Overseas-Aktivitäten als CEO der MIVICE Europe GmbH zu leiten. Das zu meinem Background.
Danke. Dann erzähl uns doch als Nächstes mal was über MIVICE – Wer seid ihr, was macht ihr, was ist euer Ziel und wie wollt ihr es erreichen?
„Ganz besonders wichtig sind uns eben Qualität, Service und Innovation. Wir haben jetzt in den sechs Jahren, die es uns gibt, über 60 Patente eingereicht. Das hat sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass jeder dritte Mitarbeiter bei MIVICE im Bereich Forschung und Entwicklung arbeitet. „
Also die Firma MIVICE wurde gegründet 2017. Ihr Mutterunternehmen gibt es bereits seit 2003 und das hat seinen Ursprung im Markt für E-Bikes in China – jene Roller mit Gasgriff, die aus zulassungstechnischen Gründen Pedale haben. Das ist ein Markt in China von über 20 Millionen pro Jahr. Hier gelangte man binnen fünf Jahren unter die Top Drei aller Hersteller. Der Name MIVICE setzt sich aus dem ersten Teil von Mindset, was für Mindset for Customer Satisfaction – also das Streben nach höchster Kundenzufriedenheit stehen soll – das heißt, wir möchten zufriedene Kunden haben durch eine hohe Produktqualität – und aus dem letzten Teil von Service zusammen, was denke ich selbstredend ist. Wir haben verschiedene Standorte. Die Zentrale ist in Ningbo, das ist so zwei Stunden nordöstlich von Shanghai. Dort forschen wir, haben die Verwaltung und haben dort auch die Produktion unserer Produkte. Wir haben parallel dazu in Shenzhen ein R&D Center, haben eine Vertriebs- und Marketingniederlassung in Europa, hier in Bamberg eben, und haben auch Vertriebsbüros in Taiwan und in Tianjin. Kürzlich hinzugekommen ist jetzt auch eine Location für Software Engineering in Wuhan. Mittlerweile haben wir rund 180 Mitarbeiter weltweit. Ganz besonders wichtig sind uns eben Qualität, Service und Innovation. Wir haben jetzt in den sechs Jahren, die es uns gibt, über 60 Patente eingereicht. Das hat sicherlich mit der Tatsache zu tun, dass jeder dritte Mitarbeiter bei MIVICE im Bereich Forschung und Entwicklung angesiedelt ist. Wir sind fest davon überzeugt, dass das E-Bike in Zukunft leichter und smarter sein wird, und unser Beitrag dazu ist, Systeme zu entwickeln und zu produzieren, die das ermöglichen.
2022 habt ihr euer European Headquarter in Bamberg eröffnet. Warum Bamberg?
Das hat vor allem eine strategische Bewandtnis, da es in Deutschland relativ zentral gelegen ist und sich einige Player aus der Bike-Industire ringsherum befinden.
Was sind die größten Herausforderungen beim Aufbau der Marke und des Unternehmens?
Für uns ist es natürlich erst mal eine Herausforderung, uns einen Namen zu machen. Die Produkte sind bereits in vielen Bikes in den letzten Jahren verbaut worden, und konnten ihre Qualität unter Beweis stellen. Nun gilt es, für die gute Qualität und Performance unserer Produkte auch in Zusammenhang mit der Brand MIVICE Awareness zu schaffen und sich eben als starke Marke zu präsentieren, was uns – wie ich finde – auf der vergangenen Eurobike schon ganz gut gelungen ist.
Ihr wart mit einem großen Stand auf der diesjährigen Eurobike vertreten. Erzähl mal mehr – was habt ihr dort präsentiert und gab es neue Produkte?
Oh ja einiges. Wir haben uns auf der Eurobike erstmals nicht mehr nur als Motorenhersteller, sondern als Anbieter für ein gesamtes System bestehend aus Motor, Controller, Drehmomentsensor, Display und Akku präsentiert. Wir bieten nun also ein Komplettsystem an, in welchem jedes Teil eigens von uns entwickelt und mit Ausnahme von Display, Akku und Ladegerät auch durch uns produziert wird. Erwähnenswert ist vielleicht auch, dass der Akku und das Ladegerät für uns in Europa hergestellt werden. Zudem haben wir zwei neue Motoren vorgestellt, den M100 und M200, unseren neuen Torque-Sensor mit ISIS-Aufnahme – vorher gab es den nur mit Vierkant-Aufnahme, was die Zahl der kompatiblen Kurbeln stark einschränkte – und unsere neuen Akkus.
Wo siehst du die Stärken von MIVICE?
„Wir arbeiten bewusst mit Drehmoment- und nicht mit Trittfrequenzsensor, zum Ermitteln der Motorunterstützung, weil sich das Fahrgefühl dadurch einfach natürlicher anfühlt.“
Unsere Stärken sehen wir ganz klar im Bereich der Nabenmotoren mit Fokus auf die Segmente E-City, Urban, Gravel und Travel. Unser Bestreben ist es, die Motoren möglichst klein und effizient zu machen. Wir haben zum Beispiel im Markt jetzt die Motoren mit der besten Torque-to-Weight-Ratio also Drehmoment-zu-Gewichts-Verhältnis, würde ich sagen. Wir haben in der Eco-Series den M070. Der wiegt 1,7 Kilo bei 35 Newtonmeter Drehmoment. Oder jetzt auch noch auf der Eurobike vorgestellt: der M100 aus der neuen Advanced Series. Der hat 1,75 Kilo bei 40 Newtonmeter. Der ist also sehr schlank, sehr schmal, sehr klein und perfekt passend für Gravel und sportive Räder. Und apropos Drehmoment: Wir arbeiten bewusst mit Drehmoment- und nicht mit Trittfrequenzsensor, zum Ermitteln der Motorunterstützung, weil sich das Fahrgefühl da einfach natürlicher anfühlt. Der Drehmomentsensor ist eine Eigenentwicklung, dessen Güte und Qualität dadurch bestätigt wird, dass er von vielen Herstellern auch separat in Kombination mit anderen Motoren verbaut wird. Natürlich haben wir auch einen Mittelmotor. Der Mittelmotor ist sehr stark, 100 Newtonmeter und den empfehlen wir primär für Anwendungen im Cargo- oder Mountainbike-Bereich. Kernkompetenz ist aber ganz klar der Bereich der Nabenmotoren.
Was sind die USPs der MIVICE-Motoren – kannst du mir ein paar nennen?
Durch anderes Engineering und Produktdesign versuchen wir auftretende Probleme im Markt zu antizipieren und diese mit unserem Ansatz zu lösen. Beispielsweise haben wir durch eine andere Kabelführung erreicht, dass die Nabenmotoren der Schutzklasse IP 65 entsprechen. Darüber hinaus verwenden wir außerdem Lager aus dem Automotive-Bereich und haben eine eigene Reibkupplung entwickelt, um komplett entkoppeln zu können. Dies ermöglicht es, bei Geschwindigkeiten über 25 km/h oder für den Fall, dass der Akku leergefahren ist, ohne Widerstand des Motors das Bike wie ein normales Fahrrad bewegen zu können. Wir haben nahezu eine Obsession für Qualität und wollen diesbezüglich keine Kompromisse machen. Daneben liegt unser Hauptaugenmerk auf Innovation und Service. Wir bauen jetzt gerade das Service-Netzwerk auf. Wir haben jetzt schon Partner in Frankreich, Holland, Italien, Belgien und Spanien, andere Länder werden kurz- und mittelfristig folgen. Unsere Innovationskraft wurde 2023 mit dem Design & Innovation-Award für unseren M080-Hecknabenmotor ausgezeichnet, worauf wir sehr stolz sind.
Als Letztes würde mir noch eine Frage einfallen, die sicher jetzt auch vielen Leser:innen auf den Lippen brennt: Werden Motoren von MIVICE bereits in Serienrädern verbaut und wenn ja, in welchen zum Beispiel?
Ja da sind einige Bikes, in denen der Motor bereits verbaut wird. Die prominentesten sind dabei wahrscheinlich Tenways und Voltaire oder auch Java. Tenways und Java bauen moderne, leichte Urban-E-Bikes (wie etwa das Tenways CGO600 mit M070-Nabenmotor oder das Java Frenetica mit M080-Motor – Anm. d. Red.). Voltaire baut eher klassische Vintage E-Bikes, und sie haben zum Beispiel das Voltaire Bellecour mit unserem M070 Motor augestattet.
Super, vielen Dank dir, Horst für das Interview und die spannenden Einblicke in eure Räumlichkeiten hier – es hat uns großen Spaß gemacht!
Gerne! Danke dir für das Interview. Es freut mich, dass es euch gefallen hat!
MIVICE setzt also als Systemanbieter mit seiner integrierten Drehmomentsensorik deutliche Akzente im Sektor der Nabenmotoren und hat sich innerhalb kürzester Zeit als neuer Mitbewerber auf diesem Markt etabliert. Demnach sind wir sehr gespannt, welche neuen E-Bikes in Zukunft mit dem MIVICE Motorsystemen ausgestattet sein werden und wie sich das System weiterentwickeln wird. Und wer weiß, vielleicht darf sich ja doch auch bald noch die Cargo-Fraktion über einen neuen Mittelmotor von der Ningbo-Shenzen-Bamberg-Connection freuen – es bleibt spannend!
Immer auf dem Laufenden bleibt ihr auf der Website von MIVICE sowie auf deren YouTube-Kanal #finestridingtechnology.
Was sagst du zur Marke MIVICE – bist du schon einen ihrer Motoren gefahren?
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