Ich komme aus der Ecke nahe der Niederlande, mein Vater hat dort seit 25 Jahren ein Radgeschäft. Mich haben früher die Vorurteile der Generation "Hollandfietse" genervt, die unzweifelhaft von der Überlegenheit der niederländischen Räder geschwärmt haben.
Der allseits bekannte YT Kanal "Not just Bikes" hat das einmal verdeutlicht
Mich hat immer diese aufgezwungene Gemächlichkeit geärgert. Aber im Großen und Ganzen ist sie vielleicht einfach genial, weil dadurch alle Radfahrenden eine ähnliche Geschwindigkeit fahren. Holländische Konzepte würden in Berlin nicht so leicht funktionieren, weil hier einfach zu viele schnelle Radfahrtypen unterwegs sind. Denn Radfahren ist eben nicht für uns alle gleich. Mit dem Bäckerrad ist es ein anderes Radfahren als mit dem E-Commuter.
Mal weit ausgeholt:
Der Philosoph Karl Popper hat mal in einer Schrift zwei grundsätzliche Ideen vom politisch-sozialen Handeln verglichen. Während die "utopische Sozialethik" ihren Nutzen aus einem Konzept in der Zukunft sieht, versucht die "Sozialethik der Einzelprobleme" eben die einzelnen Schwierigkeiten der jetzt lebenden Menschheit konkret an und arbeitet sich daran ab. Popper hat als Beispiel für utopische Sozialethik zum Beispiel den Marxismus gewählt, während er für zweite Position die westlich-kapitalistischen Demokratien als Beispiel einführte.
"Sozialethik der Einzelprobleme" bezogen auf den Verkehr hieße das aber: Die Menschen haben Autos, sie brauchen Parkplätze und größere Straßen, damit sich weniger Staus ereignen. Größere Straßen und Parkplätze verschwenden Platz ebenso die Autos, also wachsen Städte in die Breite, was zu größeren Distanzen führt, wodurch mehr Menschen Autos benötigen - eine Spirale aus Stau und Staub.
Was dagegen eben getan werden kann und muss ist die Utopie der autoreduzierten Innenstädten. Und zwar mit politischen Handeln, das tatsächlich gegen die Autofahrenden gerichtet ist. Es geht nicht anders, der Platz ist begrenzt und eine Förderung von Alternativen wenn man gleichzeitig den Status quo beibehält ist technisch und finanziell einfach nicht möglich.
In Holland ist es einfach ein Platzproblem gewesen, als eines der am dichtesten besiedelten Länder der Welt konnte sich irgendwann keinen Platz mehr für eine Autoinfrastruktur leisten. In Dänemark war es eine Finanzfrage. Man hatte in den 70er und 80er Jahren kein Geld mehr und Straßen für Autos sind erheblich teurer als die Straßen für Fahrradfahrende.
Im Grund waren also beide heute erfolgreichen Konzepte aus der Not geboren. Aber sie zeigen welche Schritte ein Land, eine Stadt ergreifen muss, um selber lebenswerter zu werden und weniger ökologischen Ballast für die nachfolgenden Generationen zu schaffen.
- Dezentralisierung von Stadtkernen, dadurch weniger Pendelverkehr
- kombinierte Wohn und Geschäftsflächen ausschreiben, keine Speckgürtel konstruieren
- Autofahrende für die Nutzung der Ressource Platz zahlen lassen
- gut durchdachte Radinfrastruktur schaffen, für Pendler, Alltagsradler, Touristen
- eine Kultur des Radfahrens normalisieren. Nicht die Exoten fahren Rad, jeder fährt Rad.
Ich bin übrigens der Meinung, dass es auch eine Generationenfrage ist. Wer hätte in den 70er Jahren noch gedacht, dass Rauchen heutzutage von großen Teilen der Öffentlichkeit verächtlich wahrgenommen wird. Niemand.